EuGH erklärt deutsches Leistungsschutzrecht für Presseverleger für unwirksam!

Am 12. September 2019 - 11:01 Uhr von Tom Hirche

Am 1. August 2013 ist in Deutschland das Leistungsschutzrecht für Presseverleger in Kraft getreten. Heute, nach etwas mehr als sechs Jahren, hat es der Europäische Gerichtshof (EuGH) für nicht anwendbar erklärt – und zwar rückwirkend. Grund ist ein Fehler im Gesetzgebungsverfahren, der allen bekannt war.

Ausgangspunkt der EuGH-Entscheidung

Das Leistungsschutzrecht sollte den Presseverlagen die Möglichkeit geben, Betreiber von Suchmaschinen und Nachrichtenaggregatoren zur Zahlung von Lizenzgebühren aufzufordern, wenn diese Presseartikel anzeigen. Umstritten war, inwiefern bloße Textausschnitte (Snippets) und Vorschaubilder bereits lizenzpflichtig sind. Grund für den Streit ist eine Ausnahme im Gesetz für "einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte". Was darunter zu verstehen ist, kann bis heute niemand mit Gewissheit sagen.

Google jedenfalls sah sich nicht zur Zahlung verpflichtet. Die Verwertungsgesellschaft (VG) Media, die das Leistungsschutzrecht der Presseverlage für diese wahrnimmt, sah das natürlich anders. Ihren Streit trugen sie in mehreren teils parallel geführten (Gerichts-)Verfahren aus, unter anderem vor dem Landgericht (LG) Berlin.

Dort ging es eigentlich um die Frage, ob Google für das Anzeigen von Snippets zahlen müsse. Für das LG war diese Frage allerdings nur zweitrangig, denn es sah ein ganz grundlegendes Problem.

Notifizierungspflicht missachtet

Die EU-Richtlinie 98/48/EG schreibt (vereinfacht ausgedrückt) vor, dass neue Gesetze der Mitgliedstaaten, in denen „technische Vorschriften“ enthalten sind, die auf Online-Dienste abzielen, vor ihrer Verabschiedung bei der EU-Kommission angezeigt werden müssen. Wird dies versäumt, sind die Gesetze nicht anwendbar, es drohen Vertragsverletzungsverfahren gegen den Mitgliedsstaat und Gesetzgebungsvorhaben müssen gegebenenfalls wiederholt werden (zu Einzelheiten siehe den Ausführungsleitfaden der EU-Kommission). Man könnte sagen: Wird ein notifizierungspflichtiges Gesetz nicht notifiziert, gibt es das Gesetz faktisch nicht.

Dies sah das LG Berlin für das Leistungsschutzrecht als erfüllt an. Es wollte die Entscheidung darüber aber nicht selbst treffen, sondern überlies sie im Mai 2017 dem EuGH zur endgültigen Klärung. Dieser hat nun, nach über zwei Jahren, die Auffassung des LG bestätigt: Das deutsche Leistungsschutzrecht für Presseverleger hätte der EU-Kommission vor Inkrafttreten übermittelt werden müssen. Dies war nicht geschehen.

Deshalb urteilte der EuGH heute:

Die deutsche Regelung, die es Suchmaschinen untersagt, Pressesnippets ohne Genehmigung des Verlegers zu verwenden, ist mangels vorheriger Übermittlung an die Kommission nicht anwendbar.

Es handele sich beim Gesetz zur Einführung des Leistungsschutzrechts um eine notifizierungspflichtige "technische Vorschrift". Zur Begründung heißt es in der Pressemitteilung:

Sie zielt nämlich speziell auf die betreffenden Dienste ab, da sie offenbar die Presseverleger gegen Verletzungen des Urheberrechts durch Online-Suchmaschinen schützen soll. In diesem Rahmen scheint ein Schutz nur gegen systematische Verletzungen der Werke der Online-Verleger, die von Anbietern von Diensten der Informationsgesellschaft begangen wurden, für erforderlich erachtet worden zu sein.

Keine Überraschung

Entscheidungen des EuGH vorherzusagen ist keine Leichtigkeit. Gleichwohl kam dieses Urteil keineswegs überraschend. So hatte beispielsweise Prof. Dr. Thomas Hoeren von der Universität Münster noch während des Gesetzgebungsverfahrens in einem Gutachten dargelegt, dass die Notifizierungspflicht besteht. Mit seiner Ansicht war er nicht allein.

Aus internen Ministeriumsmails geht hervor, dass weitere Rechtsgutachten zum selben Ergebnis kamen. Zudem erfährt man, dass die EU-Kommission das zuständige Bundesministerium der Justiz (BMJ) ausdrücklich auf eine mögliche Notifizierungspflicht hingewiesen hatte. Das Bundeswirtschaftsministerium wollte dieser auch nachkommen, hatte aber keine Entscheidungsgewalt. Diese lag beim BMJ, das letztlich von einer Notifizierung absah, um das Gesetz noch vor der anstehenden Bundestagswahl zu verabschieden und damit sehenden Auges in die Blamage rannte.

Für das Leistungsschutzrecht schließt sich damit der Kreis: Ein inhaltlich wie handwerklich schlechtes Gesetz ist wegen eines bewusst in Kauf genommenen Fehlers im Gesetzgebungsverfahren, der leicht hätte vermieden werden können, nun unanwendbar.

Die Folgen des Urteils

Das Leistungsschutzrecht für Presseverleger ist nicht anwendbar. Dies gilt rückwirkend bis zum Tag seines Inkrafttretens am 1. August 2013, nicht nur für das Verfahren vor dem LG Berlin, sondern insgesamt. Es existiert also faktisch nicht mehr.

Presseverlage oder die VG Media werden also keine Ansprüche aus dem Leistungsschutzrecht mehr geltend machen. Die Betreiber von Suchmaschinen und Nachrichtenaggregatoren könnten darauf mit einem schlichten Hinweis auf die Nichtanwendbarkeit reagieren. Sofern sie bereits Zahlungen geleistet haben, können sie diese nun zurückverlangen.

Die Presseverlage haben damit nicht nur keine Einnahmen mit ihrem Leistungsschutzrecht erzielt, sie zahlen auch noch kräftig drauf. Abgesehen von Ausgaben für ihre jahrelange Lobbyarbeit bleiben sie auf ihren gesamten Prozesskosten sitzen. Allein bei der VG Media hat sich ein Betrag im unteren zweistelligen Millionenbereich angehäuft. Hinzu kommen die Rechtsanwaltskosten, die Google entstanden sind.

Eigentlich wollte man den Verlagen ein Geschenk machen. Dieses hat sich nun als trojanisches Pferd entpuppt. Doch möglicherweise ist auch hier das letzte Wort noch nicht gesprochen. Denkbar ist, dass die Verlage versuchen werden, die ihnen entstanden Kosten als Schadensersatz im Wege der Staatshaftung zurückzufordern. Dann würden letztlich die Steuerzahler für diesen ganzen Irrsinn aufkommen. Das würde dem Ganzen auch noch die letzte Krone aufsetzen, waren es doch die Verlage selbst, die massiv für das Leistungsschutzrecht lobbyiert haben und es gar nicht schnell genug bekommen konnten.

Für viele kleine Betreiber von Suchmaschinen und Nachrichtenaggregatoren kommt das Urteil viel zu spät. Da sie die hohen Lizenzforderungen nicht erfüllen konnten und ein Gerichtsverfahren für sie zu kostspielig gewesen wäre, hatten sie ihre Dienste beschnitten oder gleich ganz eingestellt. Dies war letztlich zum Nachteil der kleinen Verlage. Sie sind maßgeblich darauf angewiesen, dass Leser zu ihren Online-Angeboten weitergeleitet werden.

Blick in die Zukunft

Der EuGH hat sich ausschließlich mit formellen Aspekten des Leistungsschutzrechts für Presseverleger auseinandergesetzt. Zu inhaltlichen Fragen hat er sich nicht geäußert. Damit wirkt sich die Entscheidung nicht auf das Leistungsschutzrecht für Presseverleger aus, wie es in der verabschiedeten Urheberrechtsrichtlinie vorgesehen ist.

Am Ende ist das Urteil daher nur ein schwacher Trost. Der deutsche Gesetzgeber hat die Richtlinie umzusetzen und wird ein neues Gesetz auf den Weg bringen, dass dieses Leistungsschutzrecht enthält; mit allen negativen Auswirkungen, die zahllose Experten vorhergesagt haben und die wir über Jahre im "deutschen Versuchslabor" beobachten konnten.

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